Tidalvolumen

Tidal Volumen

Das Tidalvolumen beschreibt, wie viel Luft einer Patientin oder einem Patienten bei der Beatmung zugeführt wird. Es hat große Auswirkungen auf den Erfolg der Beatmungstherapie. Insbesondere im Hinblick auf die lungenprotektive Beatmung muss das Tidalvolumen sorgfältig eingestellt werden, um schwerwiegende Lungenschädigungen zu vermeiden. 

In diesem Artikel erfahren Sie, wie sich unterschiedliche Tidalvolumina auf die Lunge auswirken und mit welcher Einstellung Sie Patientinnen und Patienten idealerweise beatmen – sowohl Erwachsene als auch Kinder. 

Tidalvolumen: Definition

Das Tidalvolumen (Vt), auch Atemzugvolumen (AZV) genannt, beschreibt das Volumen, das pro maschinellem Beatmungshub verabreicht wird. Es wird in Millilitern angegeben und unterliegt starken individuellen Schwankungen.1 Bei Erwachsenen beträgt es in Ruhelage zwischen 350 und 800 ml.Gelegentlich wird zwischen dem Tidalvolumen bei Spontanatmung, dem sogenannten Zugvolumen, und dem maschinell verabreichten Tidalvolumen, dem sogenannten Beatmungshubvolumen, unterschieden.3

Für Anwenderinnen und Anwender von Beatmungsgeräten ist das Tidalvolumen ein zentraler Einstell-Parameter. Es spielt vor allem bei der volumenkontrollierten Beatmung eine wichtige Rolle, wobei 2 Werte unterschieden werden: 

  • das inspiratorische Tidalvolumen Vti), das direkt am Beatmungsgerät eingestellt wird,
  • und das exspiratorische Tidalvolumen (Vte), das am Ende der Ausatmung gemessen werden kann.

Durch das gesicherte Atemzugvolumen wird eine gleichmäßige und zuverlässige Belüftung sichergestellt. Allerdings kann der Anstieg des Beatmungsdrucks schwer vorhersehbar sein. Um Überdruck und daraus resultierende Lungenschäden zu verhindern, wird daher durch den maximalen Atemwegsdruck pMax eine Druckbegrenzung festgelegt.4

Bei der druckkontrollierten Beatmung hingegen wird das Tidalvolumen nicht direkt eingestellt, sondern indirekt durch die Höhe des inspiratorischen Drucks (pInsp) sowie die Lungenmechanik bestimmt.5

Einstellung des Tidalvolumens bei der Beatmung

Die Einstellung des Atemzugvolumens spielt bei der Beatmung eine entscheidende Rolle, um beatmungsassoziierte Lungenschädigung zu vermeiden. Daher wird bei der lungenprotektiven Beatmung ein möglichst niedriges Tidalvolumen empfohlen, um Volu- und Barotrauma vorzubeugen. 

Der Richtwert, auf dessen Grundlage Sie das gesamte Tidalvolumen zur Beatmung berechnen sollten, liegt bei maximal 6 ml/kgKG – gemessen am Idealgewicht IBW (Ideal Body Weight) der Patientin oder des Patienten. Dabei wird das IBW und nicht das tatsächliche Körpergewicht herangezogen, da die Größe der Lunge proportional zur Körpergröße einer Person ist und sich bei Über- oder Untergewicht nicht verändert.6

Bei Patientinnen und Patienten mit ARDS empfiehlt die S3-Leitlinie zur invasiven Beatmung ein Tidalvolumen von 6 ml/kg Standard Körpergewicht, um die systemische Inflammation sowie Mortalität zu minimieren. Bei Betroffenen ohne ARDS wird zu einer Einstellung von 6 bis 8 ml/kgKG geraten. 

Tidalvolumen bei der Beatmung von Kindern

Bei der Beatmung von Kindern gibt es keine klaren Belege für den lungenprotektiven Effekt eines niedrigen Tidalvolumens. Der Wert von 6 ml/kgKG, der sich bei Erwachsenen bewährt hat, wird üblicherweise auf Kinder extrapoliert. 

Allerdings haben Untersuchungen bei unterschiedlichen Tidalvolumina – zwischen < 7 ml und > 12 ml/kgKG – keine signifikanten Unterschiede in der Mortalität gezeigt. Das kann jedoch auch auf den Einsatz der druckkontrollierten Beatmung zurückzuführen sein, die bei kränkeren Kindern in der Regel kleinere Tidalvolumina verabreicht.7

Unter Vollnarkose erhalten Kinder typischerweise Tidalvolumina von 6 bis 10 ml/kgKG, wobei druckkontrollierte Beatmungsmodi bevorzugt eingesetzt werden.8

Abweichungen vom Normbereich

Abweichungen vom Normbereich des Tidalvolumens bei der Beatmung können verschiedene Risiken für die Patientin oder den Patienten mit sich bringen. 

Geringes Tidalvolumen

Ein zu niedriges Tidalvolumen führt oft zur Hypoventilation, wobei der Gasaustausch gestört ist und CO₂ nicht ausreichend abgeatmet wird. Dadurch kann der Kohlendioxidpartialdruck (paCO₂) ansteigen, was Hyperkapnie und eine respiratorische Azidose verursachen kann. Klinisch äußert sich das in Symptomen wie Müdigkeit, Bewusstseinsstörungen und im Extremfall CO₂-Narkose. Das Risiko einer Hypoventilation lässt sich durch die Messung des endtidalen Kohlenstoffdioxids (etCO₂) mithilfe einer Kapnographie überwachen.9

Erhöhtes Tidalvolumen

Andererseits kann ein zu hohes Tidalvolumen bei der Beatmung eine Hyperventilation auslösen. In diesem Fall sinkt der paCO₂-Wert, was zur respiratorischen Alkalose10 führen kann. Zudem weist eine Studie von Sjoding et al. darauf hin, dass Patientinnen und Patienten mit einem Tidalvolumen über 8 ml/kgKG ein etwa 8 % höheres Mortalitätsrisiko hatten als diejenigen, die mit einem geringeren Tidalvolumen beatmet wurden. Obwohl die Studie eine kleine Stichprobe umfasste, deutet der Zusammenhang darauf hin, dass das Tidalvolumen einen Einfluss auf das Patientenoutcome hat.

Tidalvolumen messen/berechnen

Das exspiratorische Tidalvolumen (Vte) gibt an, wie viel Luft in Milliliter während der Exspiration aus der Lunge entweicht. Die Messung erfolgt über einen Flowsensor am Patientenventil, der die Luftmenge bei der Ausatmung erfasst. Das inspiratorische Tidalvolumen (Vti) beschreibt das eingestellte oder gemessene Atemzugvolumen bei der Einatmung. 

Bei Einschlauchsystemen lässt sich das inspiratorische und exspiratorische Tidalvolumen über einen proximalen Flowsensor direkt am Tubus messen.

Bei Zweischlauchsystemen wird das exspiratorische Tidalvolumen in der Regel mit Hilfe eines Flowsensors am Gerät gemessen. 

Vti und Vte sind bei der maschinellen Beatmung in der Regel gering. Wenn jedoch Unterschiede auftreten, weisen sie auf mögliche Störungen und Risiken wie z. B. Leckagen imAtmungssystem hin. Insbesondere, wenn das Ausatemvolumen wiederholt geringer als das Einatemvolumen ist, kann eine Überblähung der Lunge entstehen. Daher sollte das Tidalvolumen stets aufmerksam überwacht werden.11

Faktoren, die das Tidalvolumen beeinflussen

Das Tidalvolumen hängt bei der Beatmung von verschiedenen Parametern ab. Besonders bei der druckkontrollierten Beatmung beeinflussen mehrere Faktoren das Atemzugvolumen:

  • Compliance: Die Compliance beschreibt die Dehnbarkeit der Lunge. Je geringer die Compliance, desto niedriger das resultierende Atemzugvolumen.¹²
  • Atemwegswiderstand: Der Atemwegswiderstand, auch Resistance, ist der Widerstand, den der Luftstrom in den Atemwegen überwinden muss. Steigt der Atemwegswiderstand, verringert sich das Atemzugvolumen.¹³
  • PEEP: Eine größere Druckdifferenz zwischen dem positiven endexspiratorischen Druck (PEEP) und dem pInsp führt zu einem höheren Tidalvolumen. Um bei gleichbleibendem Druckunterschied ein größeres Atemzugvolumen zu fördern, sollte der PEEP-Wert eher niedrig gehalten werden.
  • pInsp: Der pInsp bestimmt, wie viel Atemzugvolumen bei der druckkontrollierten Beatmung appliziert wird. Ein höherer pInsp führt dabei zu einem größeren Tidalvolumen.¹⁴

Darüber hinaus gibt es einige Situationen, die das Tidalvolumen in der Beatmung ebenfalls beeinträchtigen können:

  • Leckage: Leckagen können am Tubus, an der Maske oder im Patientenschlauchsystem auftreten. Bei der volumenkontrollierten Beatmung führen Leckagen zu einem reduzierten Tidalvolumen, was die Ventilation entsprechend vermindert. Daher weist ein vermindertes Volumen bei der volumenkontrollierten Beatmung oft auf Leckagen hin. Bei der druckkontrollierten Beatmung bleibt die Ventilation hingegen in einem gewissen Rahmen erhalten.¹⁵
  • Fehlpositionierung des Tubus: Wenn der Tubus in einen Hauptbronchus vorrutscht – was in etwa 10 % der Fälle vorkommt – gelangt das Tidalvolumen nur in einen Lungenflügel und es kommt zu einer unzureichenden Ventilation.¹⁶ Auch Verlegungen, Abknicken des Tubus oder eine unzureichende Abdichtung des Cuffs können den Luftfluss vermindern.
  • Eine Obstruktion erhöht die Resistance und kann die Ventilation und den pulmonalen Gasaustausch beeinträchtigen. Wenn die Verengung dazu führt, dass das Tidalvolumen nicht ausreichend abgeatmet wird, drohen eine Überblähung der Lunge und Barotrauma.¹⁷
  • Thoraxkompressionen: Wenn bei einer CPR Thoraxkompressionen durchgeführt werden, ist das Tidalvolumen gering und liegt ohne zusätzliche Beatmung zwischen 7,5 ml und 41,5 ml, was eine unzureichende Ventilation zur Folge hat.¹⁸ Auch mit zusätzlicher manueller oder maschineller Beatmung wird das Tidalvolumen durch Thoraxkompressionen beeinflusst und ist bei volumenkontrollierter Beatmung um ca. 30 % im Vergleich zum eingestellten Wert verringert.¹⁹

Anwendungsszenarien

Das Tidalvolumen wird bei der volumenkontrollierten Beatmung direkt eingestellt und findet in den folgenden Beatmungsmodi Anwendung:

IPPV-Beatmung: IPPV steht für Intermittent Positive Pressure Ventilation und beschreibt eine Beatmungsform, bei der sowohl ein Vt als auch ein PEEP eingestellt wird. Der pAW wird durch die Einstellung des Tidalvolumens bestimmt und kann durch den maximalen Atemwegsdruck (pMax) begrenzt werden.

S-IPPV-Beatmung: Bei dieser Weiterentwicklung des IPPV-Modus kann das Beatmungsgerät die Eigenatmung während der Exspiration in einem Triggerfenster von 100 % erfassen und synchronisiert unterstützen. 

SIMV-Beatmung: SIMV steht für Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation. Diese Form kombiniert mandatorische Atemhübe mit spontanen Atemzügen. Bei spontaner Atmung kann das Gerät die Eigenatmung während der Exspiration in einem Triggerfenster von 20 % synchronisieren. Das führt bei Eigenatmung zu einem erhöhten Minutenvolumen.

SIMV + ASB: Diese Erweiterung des SIMV-Modus ermöglicht eine zusätzliche Druckunterstützung bei spontanen Atemzügen.

Überwachung des Tidalvolumens während der Beatmung

Die Überwachung des Tidalvolumens ist entscheidend, um die zuverlässige Beatmung von Patientinnen und Patienten sicherzustellen. Das Atemvolumen kann an den Beatmungsgeräten von WEINMANN über die grafische Darstellung der Flowkurve sowie die numerische Darstellung der Messwerte für Vte und MVe kontrolliert werden. 

Zusätzlich können Alarmfunktionen eingestellt werden, die bei Über- oder Unterschreiten des vorgegebenen Minutenvolumens aktiviert werden. Diese Alarme sind besonders relevant für druckkontrollierte Beatmungsmodi und Spontanatmungsmodi, da das Tidalvolumen vom Beatmungsdruck sowie der Eigenatemaktivität der Betroffenen abhängt. Dabei sollte der Alarmbereich eng an den festgelegten Minutenvolumengrenzen liegen – bei etwa ±20 %.20

1 https://www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/dokumente/sonderseiten/covid_19_kurzinfo_beatmungsparameter.pdf

2 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 32. 

3 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 244. 

4 Lang, H. (2017): Außerklinische Beatmung. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 134, 279. 

5 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 278. 

6 Lang, H. (2020): Beatmung für Einsteiger. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 100. 

7 https://register.awmf.org/assets/guidelines/024-017l_S2k_Akutes_nicht_obstruktives_Lungenversagen_ARDS_2021-08.pdf

8 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 472, 476.

9 Lang, H. (2017). Außerklinische Beatmung. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 34, 279, 331.

10 Lang, H. (2017). Außerklinische Beatmung. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 333f. 

11 Lang, H. (2017). Außerklinische Beatmung. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 105f, 307. 

12 Lang, H. (2020): Beatmung für Einsteiger. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 215f. 

13 Lang, H. (2020): Beatmung für Einsteiger. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 212f. 

14 Lang, H. (2020): Beatmung für Einsteiger. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 100ff.

15 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 317, 318, 385. 

16 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 407

17 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 149, 545, 551.

18 https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10647836/#:~:text=Previous%20studies%20on%20OHCA%20patients,and%20low%20dispersion%20among%20patients.

19 Orlob S et al Reliability of mechanical ventilation during continuous chest compressions: a crossover study of transport ventilators in a human cadaver model of CPR. Scand J Trauma Resusc Emerg Med. 2021 Jul 28;29(1):102. doi: 10.1186/s13049-021-00921-2. PMID: 34321068; PMCID: PMC8316711.

20 Larsen, R. & Mathes, A. (2023): Beatmung. 7th Edition, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, p. 298, 385.